DVVLIO

Digitalisierung, Vernetzung und Vermittlung in der Lehre der Internationalen Orgelkunst

Es gibt uns seit 1. August 2021.
Wir heißen Digitalisierung, Vernetzung und Vermittlung in der Lehre der Internationalen Orgelkunst – DVVLIO.

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Wir sind ein Drittmittelprojekt an der Hochschule für Musik Würzburg.

HfM Logo

Und werden bis 2024 gefördert durch die Stiftung Innovation in der Hochschullehre.

Stiftung Logo

Logo and short made by Simon Bossert

DVVLIO

Wer wir sind und was wir tun

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Ende des Jahres 2020 hat die Stiftung Innovation in der Hochschullehre ihre erste Förderbekanntmachung veröffentlicht. Der Titel dieser Förderbekanntmachung war: »Hochschullehre durch Digitalisierung stärken. Präsenzlehre, Blended Learning und Online-Lehre innovativ weiterdenken, erproben und strukturell verankern«.

Der Antrag wurde dann von mir ausgearbeitet und durch die HfM Würzburg an die Stiftung eingereicht. Insgesamt gingen dort quer durch die deutsche Hochschullandschaft 264 Anträge ein, davon wurden 139 ausgewählt.

Unsere Ideen gibt es schon, seit wir vor mehr als vierzig Jahren studiert haben: Wir wollen würdigen und uns in dem nachhaltig bewegen, was viele Generation vor uns in der Welt von Orgeln, Orgelmusik, im Orgelbauhandwerk, in der Wissenschaft, der Organologie und in der Musikästhetik rund um die Orgel und rund um Räume, in denen Orgeln erklingen können, geschaffen haben.

Genau darin möchten wir uns der Zukunft zuwenden: Wir betrachten dieses Vermächtnis umso eher als Grundlage unserer Zukunft, je mehr wir dieses Vermächtnis durchdringen. Hierzu erstellen wir vor allem Orgel-Lehrvideos von historischen und zeitgenössischen Orgeln.

Wir erkennen dabei eine Vielzahl von gedanklichen Räumen, die wir gerne weiter ausleuchten möchten.

Hier gibt es beispielsweise auch den Bereich der Hermeneutik oder den Bereich »Umgang mit Quellen«. Denn erst wenn wir den Geist, die Mitteilung und den Affekt, also das Wesen von Musik, sei sie vor Bach oder nach Bach entstanden, durchdrungen haben, erscheint uns die Basis verlässlich genug, um weiter an Registrierungen oder an Tempo und Artikulation zu arbeiten.

Unsere Neugier und unser Interesse gilt der Vielfalt an Instrumenten und Epochen quer durch Europa. Das sind nicht allein nur Orgeln, sondern das ist die Familie der clavierten Instrumente, also insbesondere Clavichord, Cembalo, Regal, Hammerflügel, Harmonium.

Was die Orgel betrifft, so können wir Ihnen als Ausgangspunkt zu all dem das Spätmittelalter präsentieren. Anhand der Instrumente, die wir in Würzburg zur Verfügung haben, werden wir auch Lehrgänge zur gotischen Orgel und zum Organetto anbieten.

Unser Plan sieht zudem vor, dass wir auch Instrumente außerhalb Deutschlands portraitieren und in Lehrvideos darstellen.

Dazu arbeiten wir eng mit Kolleginnen und Kollegen innerhalb Deutschlands und weit darüber hinaus zusammen. Zehn Länder sind dabei eingebunden, neun europäische sowie USA. Auch unsere Studierenden sowie ehrenamtliche Kräfte unterstützen uns. So umfasst unser Team etwa 35 Personen.

In all dem müssen wir exemplarisch arbeiten. Dabei geht es um Vielfalt – und doch müssen wir auch auswählen und uns darauf konzentrieren, was uns essenziell erscheint.

Und uns interessiert brennend die Frage nach der Orgel der Zukunft. Wir stellen sie uns als Orgeln vor, in den sich Geschichte abbildet, in denen Klänge reichhaltig und inspirierend erscheinen, und andererseits die neuesten technischen Möglichkeiten uns eine ungeahnte Komplexität der Wechselwirkungen beschert.

Zu all dem möchten wir unseren Beitrag leisten.

Unser Vorhaben kann aber nur durch Sie gelingen, indem Sie dieses Angebot tatsächlich nutzen. Dazu laden wir Sie sehr herzlich ein:

Bleiben Sie uns auf den Versen!

Ihr Christoph Bossert, Projektleiter DVVLIO

Inschrift an der Orgel der Kirche San Pietro in Perugia

Haec Si contingunt Terris, quae gaudia Caelo

und Orgelinschrift am historischen Orgelgehäuse der evang. Kirche in Gnadental (Hohenlohe)

Haec si contingunt quae gaudia coelis

Wenn sich diese
[Herzen, Seelen, Empfindungen, Wege zwischen Gott und Mensch, Mensch und Gott/
Pfeifen, Schwingungen, Töne, Klänge, Harmonien]
verbinden:
Welche Freude im Himmel!

Auf diesen Sinnspruch bezieht sich Girolamo Diruta in der Vorrede des I. Buches Il Transilvano (Venedig 1593) mit deutscher Übersetzung in Syntagma musicum II, (S. 85) von Michael Praetorius.

Ich danke meinem ehemaligen Studenten Istvan Batory für diese Mitteilungen; durch sie haben sich die Zusammenhänge um die Inschrift an der Orgel in Gnadental weiter erhellt.

Die Orgel zu Maria Limbach von Johann Philipp Seuffert 1756 im Kurzportrait mit Prof. Dr.h.c. Christoph Bossert

Projektbeschreibung

Im Projekt DVVLIO arbeitet ein Team von hauptamtlich Mitarbeitenden unter Leitung von Prof. Dr. h.c. Christoph Bossert: Es besteht aus einem Aufnahmeteam, der Koordination sowie drei Mitarbeitenden im künstlerisch-wissenschaftlichen Bereich. Als weitere Mitarbeitende wirken mit: Studierende der Orgelklasse von Prof. Bossert, ehrenamtliche Mitarbeitende außerhalb des Hochschulbereiches sowie eine große Zahl von DozentInnen aus dem In- und Ausland. Darunter zählen insbesondere Hochschulen im Verbund einer Förderung durch »Erasmus plus« in Vorbereitung auf die Max-Reger-Orgelakademie 10. bis 16. September 2023. Diese sind: Riga (Prof. Vita Kalnciema), Krakau (Dr. Filip Preßeisen), Budapest (Dr. Balázs Szabó), Graz (Prof. Gunter Rost), Caen (Frankreich: Prof. Erwan Le Prado). Sie werden jeweils zusammen mit einer Gruppe Studierender an der Reger-Akademie teilnehmen.

Wir freuen uns zudem über ein hochrangig besetztes Team von DozentInnen aus zehn Ländern, die uns bei der Erstellung von Orgel-Lehrvideos tatkräftig unterstützen: Prof. Edoardo Bellotti, Dr. David Catalunya, Christophe Deslignes, Olivier Ferla, Prof. Hans Fidom, Andres Cea Galan, Prof. Greg Hand, Randal Harlow, Prof. Dr. Franz Körndle, Prof. Christophe Mantoux, Luka Posavec, Prof. Erwan Le Prado, Prof. Martin Sturm. (insgesamt 36 Mitarbeitende, davon 19 direkt Mitarbeitende, 17 KollegInnen).

Das Themen-Gelände fächert sich vielfältig auf. Folgende Produktionen sind bislang entstanden:

33 Lehrvideos zu Orgeln, davon 32 Videos zu historische Orgeln, ein Video zur neuen Klais- Orgel im Konzertsaal der Hochschule für Musik Würzburg (Hyper-Orgel).

Weitere Videos zu Themen der Hermeneutik: Hermeneutik vor und zu Bach, Mendelssohn und Hermeneutik, Reger und Hermeneutik. Anhand der Hyper-Orgel im großen Saal öffnet sich ein Fenster für experimentelle Orgelmusik.

Zielstellungen des Projektes:

Den Überbau bildet das Vorhaben der sukzessiven Erstellung einer digitalen Orgel-Lehrbibliothek (DOLB). Darunter fallen insbesondere folgende Themen: Quellen zur Orgellehre, Aufbereitung sämtlicher Ebenen des internationalen Orgelwesens, Portraits historischer und zeitgenössischer Orgeln, Fragen zu Orgel der Zukunft sowie Hermeneutik der Orgelliteratur.

Die Orgel-Lehrvideos (OLV) in Bild und Ton umfassen die Klanganalyse eines Instrumentes anhand von Improvisationen. Gegenstand sind die Einzelregister sowie Möglichkeiten der Klangkombinatorik. Auch folgende Aspekte werden beleuchtet: Geschichtliche Hintergründe, Standort, orgelbauliche Überlieferung, Darstellung der jeweiligen Orgelbau-Werkstatt, geeignete Orgel-Literatur, Balg-Anlage, Innenaufnahmen der jeweiligen Orgel.

Ein weiterer Bereich sind fakultative Angebote:

Unterrichtseinheiten mit Studierenden im Feld der klassischen Orgelliteratur bis zu eigener Improvisation; Ausführungen zur Hermeneutik hinsichtlich der gespielten Beispielstücke.

Ein besonderes Interesse gilt dabei der spätromantischen Orgel im Rahmen der Gesamteinspielung des Orgelwerkes von Max Reger durch Prof. Dr. h.c. Christoph Bossert. Das Konzept dieser Gesamteinspielung ist verknüpft mit der exemplarischen Dokumentation einer 320 Jahre umfassenden Geschichte des Orgelbaus zwischen 1703 und 2023: In Bosserts Gesamteinspielung erklingt Regers Opus 7 Nr. 1 an der Wender-Orgel in Arnstadt aus dem Jahre 1703, ausgehend vom sogenannten »Grundlabialstil« als Grundstock der süddeutsch-mitteldeutschen Barockorgel, wobei sich der Grundlabialstil dann im 19. Jahrhundert immer weiter bis hin zur Spätromantik fortentwickelt. Mit Abschluss der Bauphase II der Klais-Orgel im großen Saal (Ende August 2023) werden dann Regers große Orgelwerke Opus 57, 73, 127 und 135b eingespielt werden, um den klanglichen Radius dieser Hochschulorgel zu dokumentieren.

Ab 19.03.2023 sollen, beginnend mit op. 7 und op. 16 monatlich fortschreitend das Reger-Orgelwerk in Einspielungen von Christoph Bossert im Laufe von insgesamt 18 Monaten ins Netz gestellt werden. Wenn also die Reihe mit Regers Opus 7 Drei Stücke für Orgel beginnt, erklingen dabei Orgeln in Arnstadt (Wender 1703), Neresheim (Holzhey 1797) und Rastatt (Stieffel 1829). Die Klänge dieser sowie der dann weiter folgenden Orgeln sollen die Idee einer Orgelentwicklung hin zur »europäischen Orgel« dokumentieren. Diese Idee sieht Christoph Bossert insbesondere in der Holzhey-Orgel im Kloster Neresheim verwirklicht, wobei Eberhard Friedrich Walcker diese Orgel besucht hat und sich ebenso die Gebrüder Link in Giengen a.d. Brenz auf Holzhey in Neresheim beziehen. Dies kann man aus der französisch-deutschen Disposition beider Orgeln schließen sowie ebenso aus dem Vergleich der Fassade der Abteikirche Neresheim mit der Prospekt-Fassade der Giengener Link-Orgel.

Reger-Orgelakademie: Gedanken wie diese sollen im September 2023 in der durch die HfM Würzburg veranstaltete ›Internationale Max-Reger-Orgelakademie‹ (16. bis 20. September 2023) insbesondere anhand der Orgelexkursion am 11. bis 13. September eingebracht und vertieft werden.

OLV: Die Idee der ›europäischen Orgel‹ sowie die Idee eines Verbunds Holzhey-Walcker-Link bringt Christoph Bossert als Innovation ein und belegt diese Idee in OLVs zu Neresheim, Hoffenheim oder Giengen/Brenz. Der Radius der OLV soll sich weit über Deutschland hinaus quer durch Europa wie insbesondere nach Frankreich, Spanien, Italien, Niederlande, Polen, Österreich, Ungarn und Slowenien erstrecken.

Weitere Lehr-Innovationen: Zusätzlich zu den bisher vorhandenen unterschiedlichen Orgeln und clavierten Instrumenten im Orgelbereich der Hochschule für Musik Würzburg konnte aktuell die Replik einer gotischen Orgel sowie ein Orgelbau-Lehrmodell erworben und in die Lehre eingebunden werden.

Kurzportrait im Video der Stiftung Innovation in der Hochschullehre

Zusammenfassung und Weiterführung

Die Zielsetzungen von DVVLIO ergeben sich unter dem Dach einer Digitalen Orgel-Lehrbibliothek als Orgellehrvideos zu historischen und zeitgenössischen Orgeln in Europa; Hermeneutik vor Bach und bei Bach, zur Romantik und zu Max Reger; Umgang mit Quellen.

Weitere innovative Projekte, durch die DVVLIO zusätzlich zu den genannten Inhalten flankiert wird, sind:

1 Die Orgel im Konzertsaal aus der Orgelbauwerkstätte Klais (2016). Anhand der Ergänzung durch Bauphase II (2023) weist sie insbesondere die Ebene einer »Bachischen Orgel«, einer »Reger-Orgel« und einer Experimentalorgel als einer »Hyper-Orgel« auf. Namensgeber ist Randall Harlow, Iowa/USA. Unter »Hyper-Orgel« versteht man eine Orgel, die sich in Disposition und Klanggebung an historisch gewachsenen Parametern ausrichtet, jedoch technisch maximal innovativ ist (siehe die Technik der Proportionalmagnete sowie OSC Open Sound Control).

2 Sehr verschiedenartige »clavierte Instrumente« sind Basis der Orgellehre an der HfM Würzburg: Organetto, gotische Orgel, Regal, Pedal-Cembalo, Clavichord nach Schmahl 1789, Debain-Harmonium 1846, Orgel mit mechanischer Kegellade der Orgelbauwerkstätte Lenter (2012), vier weitere Orgeln mit mechanischer Schleiflade sowie die große Klais-Orgel im Konzertsaal (2016/2023) mit ihrer weltweiten Alleinstellung anhand der Verbindung aus a) Elektrik, b) mechanischer Kegellade und c) Proportionalmagneten. Diese innovative Wechselwirkung sowie OSC (Bauphase II) ermöglichen anhand einer Reihe skalierter Steuerungsebenen Klangereignisse von bisher kaum denkbarer Variabilität.

3 Die Dokumentation des gesamten Orgelwerkes von Max Reger (Audio/Video) ist konzipiert als Streifzug durch 320 Jahre Orgelbau (1703 bis 2023).

4 Das Fach Orgelkunde kann anhand eines Orgelbau-Lehrmodells gestaltet werden.

5 Es ist eine Orgelbau-Versuchswindlade vorhanden.

6 Der Bausatz einer Orgel zum Auf- und Abbauen für Kinder und Jugendliche eröffnet höchst anschaulich Brücken hin zu Kirchengemeinden und Schulen.

7 Die Zertifikate I und II für Orgelkunst und Orgelbau stellen sich dar als Folgeprojekt dessen, was einst der ›Internationale Orgel-Masterstudiengang Organexpert‹ leistete. Dieses neue Angebot wurde zusammen mit dem Hause Klais entwickelt und versteht sich als eine Brücke zwischen Orgelbau-Handwerk und akademischer Ebene. Im Fokus steht dabei der Bereich der Intonation. Es wird hierbei besonderer Wert auf die Orientierung Klangaussagen historischer Instrumente gelegt, um zu fragen, wie derartige Kulturleistungen in heutigen Orgelbau übersetzt werden können. Das Angebot der Zertifikatsprogramme ist insbesondere berufsbegleitend gedacht und richtet sich vor allem an Orgelbauer sowie an im Beruf stehende OrganistInnen. Es können aber auch Orgelstudierende teilnehmen, um einen möglichst vielfältigen Austausch zu ermöglichen.

8 Professur ›Orgelkunst – Kreativitätskonzepte – künstliche Intelligenz‹ als Kooperation der HfM Würzburg mit der Technischen Hochschule Würzburg/Schweinfurt.

Netzwerke

Die Akademie der Orgel in Süd- und Mitteldeutschland (AOSuM) besteht seit 2022 als Kooperation zwischen den Orgelbereichen der HfM Würzburg und der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar und deren Professoren Christoph Bossert und Martin Sturm. Ein wesentliches Feld ist dabei die Klanglichkeit historischer Orgeln, das Experimentalstudio Orgel, die Orgelimprovisation sowie Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Hermeneutik.

Eine Partnerschaft mit der University of Iowa und deren durch Prof. Greg Hand geleiteten Orgelbereich hat als Basis die dort 2016 neu erbaute Klais-Orgel, die sich an der deutschen Romantik und insbesondere an Friedrich Ladegast und dessen Dom-Orgel in Schwerin orientiert. Damit ist sie die erste Orgel in den USA, die sich explizit als Hochschulorgel an der deutschromantischen Orgel ausrichtet.

Derzeit sind intensive Planungen für einen höchst innovativen Orgelwettbewerb der Zukunft im Gange, der mit der Akademie der Orgel in Süd- und Mitteldeutschland (AOSuM) eng verknüpft werden soll.

Entwicklung eines Netzwerkes Die Orgel als europäisches Kulturgut

Eingeladen sind Kirchengemeinden, deren Orgel durch DVVLIO portraitiert wurde. Es soll damit ein nachhaltiger Beitrag geleistet werden dafür, dass die Wertschätzung historischer Orgeln weiter in die Öffentlichkeit getragen wird, dass aber auch Studierende leichter Zugang zu derartigen Instrumenten bekommen, um sie in Ruhe und mit der nötigen Sorgfalt studieren zu können.

Projekt International Organ Innovation Center

Angestrebt wird ein Orgel-Innovationszentrum mit dem Titel International Organ Innovation Center (IOIC), das alle genannten Anliegen vereinen soll. Partner werden darin insbesondere die Orgelbereiche der Hochschulen in Würzburg, Weimar und Iowa sein.