Orgelbewegung, Deutsche

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Die sog. ›Deutsche Orgelbewegung‹ unterscheidet sich deutlich von der zwei Jahrzehnte zuvor durch Albert Schweitzer und Emil Rupp initiierten sog. Elsässischen Orgelreform. Grundsätzlich werden solche Reformansätze gekennzeichnet durch Rückbeziehung auf ältere Orgelbautraditionen. Hierbei wird man nun sagen müssen: Genau diese Rückbezüglichkeit wird bei Walcker, Furtwängler, Ladegast, Schubert, Gebrüder Link oder Eule in deren Orgeln in Stuttgart 1834-45, Gronau 1860, Schwerin 1871, Giengen 1906 oder Bautzen 1910 durchgängig ablesbar.

Die Anfänge der Orgelbewegung liegen u. a. bei Willibald Gurlitt und dessen Rekonstruktionsversuch einer Prätorius-Orgel (1921) sowie in den Orgeltagungen (1926) in Freiburg sowie in Hamburg / Lübeck (1925).

1933 verabschiedet die Orgelbewegung eine erschreckende Deklaration (siehe Ende dieses Eintrages).

Im Oktober 1933 gelang es Karl Straube, wiewohl die Vertreter der Orgelbewegung ihn als Freund Regers kannten und Straube somit feindselig gegenüber standen, sich an die Spitze der Orgelbewegung zu stellen.

In Orgelneubauten der 1930er Jahre kann man, sofern erhalten, noch heute studieren, wie verheerend kalt die neue Klanglichkeit sich bewußt gibt: Indem Klänge nun zu Platzhaltern der Teiltöne werden, ist nicht mehr Berührendes, sondern Funktionalität deren Kennzeichen. Neue Sachlichkeit und Objektivitätsideal sind die dazu korrelierenden neuen Begrifflichkeiten (siehe: Walter Summereder, Vom Aufbruch der Klänge).

1951 gründet Walter Supper in Ochsenhausen (Oberschwaben) die sog. Gesellschaft der Orgelfreunde und verbreitert so die Basis der Orgelbewegung in sämtliche kirchlichen Kreise hinein. Walter Supper führt einen beispiellosen Kampf gegen die Orgel des 19. Jahrhunderts. Siehe auch:

  • Paul PEETERS: Die ›Nederlandse Organisten Vereniging‹ und die Orgelreformbewegung des 20. Jahrhunderts. In: Aspekte der Orgelbewegung, hrsg. v. Alfred Reichling, Kassel: Merseburger 1995, S. 139-182.

  • ESG in der BRD (Hrsg.): Kirchenmusik unter dem Hakenkreuz. Dokumentation der Tagung vom 5. – 8. Juni 1987 in der ev. Studententengemeinde Essen.

Auszug aus: Juan ALLENDE-BLIN, Musik drinnen und draußen, Kap. I, Abgrenzungen:

  • [S. 34] […] Der Staatsrechtslehrer Carl Schmitt, seit 1933 Professor an der Universität Berlin, schrieb im ›Westdeutschen Beobachter‹, dem amtlichen Organ der NSDAP am 12. Mai 1933:

    »Schlag auf Schlag hat die Reichsregierung Gesetze erlassen, deren eigentliche Tragweite nurWenigen zum Bewußtsein gekommen ist und deren Auswirkung über den gegenwärtigen Augenblick der ersten Anwendung weit hinausreicht. […] Die neuen Bestimmungen über Beamte, Ärzte und Anwälte reinigen das öffentliche Leben von nichtarischen fremdgearteten Elementen. Die Neuregelung des Zugangs zu deutschen Schulen und die Einrichtung einer deutsch-stämmigen Studentenschaft endlich sichern die eigenvölkische Art der kommenden deutschen Geschlechter.«1

    In dieser Atmosphäre der Abgrenzungen, die chauvinistische und antisemitische Züge besaßen, verfaßten am 17. und 18. Mai einige Kantoren unter der Federführung von Wolfgang Auler eine ›Erklärung der deutschen Orgelbewegung‹, die vom Thomaskantor D. Dr. Karl Straube und von den repräsentativsten Kirchenmusikern Deutschlands unterschrieben wurde. […]

    – [S. 35] Diese Erklärung erschien in der ›Zeitschrift für Musik‹ im Juni 1933 und im ›Lübecker Anzeiger und Zeitung‹ am 13. Juli desselben Jahres. Die interessanteste Veröffentlichung aber kam im Heft 4- / 1933 der Zeitschrift ›Musik und Kirche‹ heraus. Auf Seite 174 dieser Publikation des Bärenreiter Verlages begann ein Artikel von Bernhard von Peinen ›Kirchenmusik im Dritten Reich‹. In einer Anmerkung der Redaktion wird der Verfasser als ein Nationalsozialist bezeichnet, ›der sich seit Jahren offen zu Hitler bekannt hat und der als SA-Mann Referent für weltanschauliche Erziehung bei einem Untergruppenstabe war.‹ Einige Seiten weiter, auf Seite 179 ist ein ganzseitiges Photo [abgebildet], das folgende Legende trägt: ›Volksabend in der Stuttgarter Stadthalle beim 33. deutschen Kirchengesangstag‹. Neben einer Fahne mit dem Kreuz sieht man eine Hakenkreuzfahne und die versammelte Menge. Der Artikel von B. von Peinen endet zwar auf Seite 187[,] aber noch unter seinem Titel ›Kirchenmusik im Dritten Reich‹ folgt als Anhängsel die Erklärung der deutschen Orgelbewegung. Die Redaktion der Zeitschrift hat diese Anmerkung vorangesetzt:

    »Im Anschluß an vorstehende Anführungen veröffentlichen wir die folgende Erklärung, die als Ergebnis einer Zusammenkunft zahlreicher führender Persönlichkeiten der Kirchenmusik und Orgelkunst von allen Seiten starke Zustimmung fand. Da es nicht möglich ist, die Namen aller derer, die sich einverstanden erklärten, zu veröffentlichen, bringen wir nur die unserer Schriftleitung bekannt gewordenen Unterschriften.«

    »Die nationale Erneuerung hat die Kirche wieder in den Blickpunkt des ganzen Volkes gerückt. Wir, die wir seit langem an der Erneu[e]rung der Kirchenmusik und des Orgelwesens arbeiten, erleben es heute mit tiefer Freude, daß sich das Verlangen breitester Schichten unseres Volkes wieder auf die Kirchenmusik richtet. Wir verhehlen uns nicht, daß damit auf diejenigen, die heute in maßgeblicher Stellung an der Erneuerung der Kirche und des kulturellen Lebens im Staate arbeiten, eine besonders ernste Verantwortung fällt. Diese Verantwortung wird umso größer, als wir gegenwärtig schwere Gefahren für die Ausrichtung des Dienstes, den die Kirchenmusik unserer Kirche und damit dem deutschen Volke leisten soll, herau[s]ziehen sehen. Darum fühlen wir uns – [S. 36] zu folgender Erklärung verpflichtet:

    1 Wir bekennen uns zu der kultischen Verwurzelung aller Kirchenmusik. Ihre evangelische Aufgabe ist Verkündigung, Bekenntnis, Anbetung und Lobpreis. In ihrem Mittelpunkt steht der Choral. Wir lehnen es ab, daß unserem Volk eine Kunst als Kirchenmusik dargeboten wird, die im Konzertsaal beheimatet ist. Die Orgel darf nicht zum Schauplatz virtuoser Eitelkeit werden. Die Musik im Gottesdienst ist nicht Selbstzweck, sondern Dienst an der Verkündigung.

    2 Wir bekennen uns zu der gemeinschaftsgebundenen Kraft aller Kirchenmusik, wie wir sie vor allem in der Musik unserer evangelischen Kirche von Luther über Schütz bis Bach und an den Meisterorgeln dieser Zeit erlebt haben. Unsere Bewegung ist nicht zuletzt im Kampfe gegen zersetzende Kräfte des Liberalismus und Individualismus entstanden.

    Wir lehnen es ab, daß unserem Volk eine bürgerlich=liberale Kunst als Kirchenmusik dargeboten wird, die nicht aus der Gemeinschaft heraus geboren ist. Eine zuchtlose, selbstgenießerische Musik, die den Einzelnen nicht über sich selbst hinaus in die Gemeinde hineinstellt, hat in der Kirche kein Heimatrecht und hat auch mit dem künstlerischen Wollen des jungen Deutschlands nichts gemein.

    3 Wir bekennen uns zur volkhaften Grundlage aller Kirchenmusik. Darum hat unsere Arbeit seit ihren ersten Anfängen bewußt bei der Tradition unserer großen deutschen Meister angeknüpft.

    Wir lehnen es ab, daß unserem Volk eine nicht=bodenständige, kosmopolitische Kunst als deutsche evangelische Kirchenmusik dargeboten wird.

    Wir lehnen es weiter ab, daß die auf dem Grunde der besonderen Eigenart des deutschen Volkstums in einer einzigartigen reichen Geschichte erwachsene eigenständige deutsche Orgelbaukunst durch unnatürliche Angleichung an fremdländische Erzeugnisse und Kunstanschauungen verfälscht wird.

    3 Wir bekennen uns zu einer gegenwartsgemäßen Kirchenmusik auf der Grundlage der vorstehenden Sätze. Wir glauben, daß Gott, wenn es ihm gefällt, unserer Zeit das neue Lied schenken wird, auf das wir warten.

    – [S. 37] Wir lehnen es ab, daß unserem Volk eine geistig=reaktionäre Kunst als Kirchenmusik dargeboten wird, die keine lebenzeugende Kraft besitzt, sondern sich als Kind einer vergangenen geistigen Epoche erweist. Wir werten die Gegenwartsnähe der Kirchenmusik nicht in der Art des Historismus nach ihrer zeitlichen Entstehung, sondern nach der Kraft, mit der sie unmittelbar zum Geschlecht unserer Tage zu sprechen weiß. Es ist ein Irrweg, wenn man aus der Haltung eines geistig überwundenen, rein technisch orientierten Zeitalters heraus die Orgel nicht als Organismus, sondern in erster Linie als technisches Erzeugnis betrachtet.

    Dozent Dr. K. Ameln, Dortmund; OrganistW. Auler, Berlin; Dr. R. Baum, Kassel=Wilhelmshöhe; Privatdozent Dr. F. Blume, Berlin; Dr. F. von Borries, Lübeck; Organist F. Brinkmann, Hamburg; Organist G. Bunk, Dortmund; Organist Dr. R. Czach, Essen; Pfarrer Lic. Dr. Dietrich, Wiesbaden; Organist F. Dimigen, Kiel; Organistin L. Dimigen, Kiel; Organist H. Distler, Lübeck; Kantor M. Drischner, Brieg; Pastor W. Drömann, Holle/ Hannover; Oberregierungsrat Dr. B. Ebhardt, Postdam; Organist G. Edel, Danzig; Studienrat Dr. C. Elis, Göttingen; Organist T. Fedtke, Königsberg; Organist H. Fest, Leipzig; Professor Dr. Frotscher, Danzig; Organist G. Gallert, Norden; Pfarrer Lic. F. Gebhardt, Bellmannsdorf; Organist H. Gericke, Halberstadt; Organist K. Gerok, Halberstadt; Kirchenmusikdirektor R. Gölz, Tübingen; Organist G. Gohte, Schwerin; Organist F. Grasmaher, Hanau; Organist G. Grote, Wuppertal; Studienrat B. Grusnick, Lübeck; Professor Dr. W. Gurlitt, Freiburg; Dr. F. Hamel, Berlin; Orgelbaumeister E. Hamoier, Hannover; Organist C. Hannemann, Altona; Studienrat Dr. F. Haufe, Pönitz / Leipzig; Stadtrat F.A. Hauptmann, Leipzig; Professor F. Heitmann, Berlin; Dekan W.Herold, Schwabach; Organist F. Högner, Leipzig; Akad. Gesanglehrer F. Hölzel, Emden; Hauptpastor Dr. w. Jannasch, Lübeck; Professor F. Jöde, Berlin?Lankwitz; Musikdirektor H. Johannsen, Kiel; Orgelbauer E. Kemper, Königsberg; Orgelbaumeister K. Kemper, Lübeck; Universitätsmusikdirektor G. Kempff, Erlangen; Organist P. Kickstat, Altona; Pfarrer w. Kiefner, Blaubeuren; – [S. 38] Organist Dr. H. Klotz, Aachen; Organist Th. Klupsch, Güstrow; Musikdirektor D. h,o. A. Knabe, Soest; Kirchenmusikdirektor G, Knak, Hamburg; OrganistW, Kraft, Lübeck; Musikdirektor H. Langguth, Meiningen; Musikdirektor R. Liesche, Bremen; Musikdirektor Dr. F. Lubrich, Sprottau; Landeskirchenrat Dr. Chr. Mahrenholz, Hannover; Dr, w. Mollat, Berlin; Landeskirchenmusikwart E. Mauersberger, Eisenach; Kreuzkantor R. Mauersberger, Dresden; Staatl. Orgelbausachverständiger J. Mehl, Eltersdorf b. Nürnberg; Organistin F. Mickel=Suck, Mühlhausen; Professor D. Dr. H.J.Moser, Berlin; Organistin S. Naumann, Halberstadt; Organist R. Neumann, Brandenburg; Professor Dr. H. Poppen, Heidelberg; Organist G. Prezewowsky, Dresden; Organist K. Rahner, Saarbrücken; Professor G. Ramin, Leipzig; Pastor Rehkopf, Wiedensahl / Stadthagen; Professor W. Reimann, Berlin; Professor Dr. F. Reusch, Frankfurt/Oder; Pfarrer Dr. K.B. Ritter, Marburg; Lehrer E. Röder, Pirna; Dr. P. Rubart, Leipzig; Orgelbau.meister R. Ruther, Frankfurt/ Oder; Stadtkantor R. von Saalfeld, Regensburg; Organist R. Sander, Durlach; Organist H. Schelling1 Berlin; Organist A. Schmidt, Halberstadt; Organist H. Schneider, Bautzen; Kantor H. Schulze, Leipzig; Organist G. Schwarz, Berlin; Organist E. Simmich, Berlin; Pfarrer Lic. Dr. Söhngen, Berlin; Professor Dr; W. Stählin, Münster; Kantor A. Stier, Dresden; Stadtkantor o. Stollberg, Schwabach; Professor D. Dr. Karl Straube, Thomaskantor, Leipzig; W. Strube, Magdeburg; Organist W. Tappolet, Zürich; OrganistW. Tell, Magdeburg; K. Thomas, Leipzig; Pastor Lic.W. Thomas, Bremke; Pastor Utermohlen, HarburgaWilhelmsburg; Organist K. Utz, .Mainz; Organist F. Vietor, Glienicke; K. Vötterle, Bärenreiter-Verlag, Kassel=Wilhelmshöhe; Kantor O. Voigt, Köslin; OrganistW, Vollrath, Gera; Organistin T. Wagner, Berlin; Orgelbaumeister Dr. O. Walcker, Ludwigsburg; Pfarrer Lic. R.H. Wallau, Frankfurt/ Main; Orgeltechniker E. Wenzel, Altona; Organist A. Wieber, Wittenberg; Organist H. Wolff, Berlin; Privatdozent Dr. H. Zenck, Göttingen; Land.eskirchen.musikdirektor E. Zillinger, Schleswig und 24 Kirchenmusiker aus Hamburg, Schleswig=Holstein und Lübeck.«

CB/TF