Mannheimer Schule, Mannheimer Hofkapelle, Mannheimer Crescendo

Zurück zur Übersicht

Quellen:

  • FORSCHUNGSSTELLE Geschichte der Mannheimer Hofkapelle der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. URL, [28.02.2023]

  • Bärbel PELKER: Die kurpfälzischen Hofmusik in Mannheim und Schwetzingen (1720–1778), S. 195-366. In: LEOPOLD, Bärbel Pelker, (Hrsg.), Süddeutsche Hofkapellen im 18. Jahrhundert: Eine Bestandsaufnahme, Heidelberg: Heidelberg University Publishing, 2018 (= Schriften zur Südwestdeutschen Hofmusik, Band 1). DOI [28.02.2023]

Die Mannheimer Hofkapelle des Kurfürsten Carl Theodor zählte zu den berühmtesten und leistungsfähigsten Orchestern des 18. Jahrhunderts, das sich durch seine vorbildliche Spieldisziplin, der spieltechnischen Virtuosität aller Musiker und die ›oft zitierten überwältigenden Klangwirkungen‹ einen Namen machte – Stichwort: Mannheimer Crescendo. Der Aufstieg des Hoforchesters zur legendären Mannheimer Hofkapelle entwickelte sich zunehmend mit Beginn der Amtszeit des Churfürsten Carl Theodor in den Jahren 1743–1778, der neben Friedrich II zu den gebildetsten Herrschern in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts gehörte. Vermutlich wurde wohl Johann Stamitz damit betraut, »den eher fragmentarischen Klangkörper in ein voll funktionierendes Orchester zu verwandeln«, in dem – bis auf die Klarinetten – inzwischen alle Instrumentengruppen vertreten waren. Weitere Veränderungen folgten im Laufe der Zeit. Zu nennen ist hier ab 1753 Ignatz Holzbauer. Während Stamitz die Violinklasse betreute, kümmerte sich Holzbauer um den Ausbau der übrigen Stimmen, wie die Aufstockung der Holzbläser. Durch zunehmende Teamarbeit entwickelte sich das Ausbildungssystem Mannheimer Schule. Im Jahr 1762 zählte die Kapelle erstmals über 70 und ab 1770 über 80 Hofmusiker.

Wolfgang Amadeus Mozart schrieb 1763 aus Schwetzingen:1

»das Orchester ist ohne widerspruch das beste in Teutschland, und lauter junge Leute, und durch aus Leute von guter Lebensart, weder Säufer, weder Spieler, weder liederliche Lumpen; so, daß so wohl ihre Conduite als ihre production hochzuschätzen ist.«

Über die Spieltechnik der ›Mannheimer Hofkapelle‹ schrieb Christian Friedrich Daniel Schubart:

»Wenn der Churfürst in Schwetzingen war, und ihm sein vortreffliches Orchester dahin folgte; so glaubte man in eine Zauberinsel versetzt zu seyn, wo alles klang und sang. […] Kein Orchester der Welt hat es je in der Ausführung dem Manheimer zuvorgethan. Sein Forte ist ein Donner, sein Crescendo ein Catarakt, sein Diminuendo – ein in die Ferne hin plätschernder Krystallfluss, sein Piano ein Frühlingshauch.«

Aus: Christian Friedrich Daniel SCHUBART: Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst, Wien 1806, Die Pfalz-Bayerische Schule, S. 121-146, hier S. 130.

Zu den Musikern, Lehrern und Komponisten der Mannheimer Schule zählten vor allem:

  • Johann (Wenzel Anton) Stamitz (1717–1757), ab 1742 zum Konzertmeister der Mannheimer Hofkapelle berufen

  • Johann Christian Cannabich (1731–1798), Komponist und Dirigent, wurde schon mit 13 Jahren (1744) in die Mannheimer Hofkapelle aufgenommen, Schüler von J. Stamitz

  • Franz Xaver Richter (1709–1789), seit 1746 Hofmusikus

  • Ignatz Holzbauer (1711–1783), Komponist, seit 1753 Oberkapellmeister am Mannheimer Hof

  • Johann Anton Fils / Filtz (um 1730–1760), Violoncellist in der Mannheimer Hofkapelle seit 1754

  • Carl (Philipp) Stamitz (1745-1801), Komponist sowie Viola- und Viola d’amore-Virtuose, bereits 1761 zweiter Violinist in der Hofkapelle, Unterricht bei C. Cannabich, I. Holzbauer und F. X. Richter

  • Carlo Giuseppe Toeschi (1731–1788) Schüler von Johann Stamitz, seit 1750 in der Mannheimer Hofkapelle

  • Franz Xaver Danzi (1763–1826), musikalische Bildung in Klavier und Violoncello bei seinem Vater wie auch bei Abbé Vogler, Mannheimer Hofkapelle seit 1778

  • Ludwig August Lebrun (1752–1790), Hofmusikus, Komponist

  • Abbé Vogler (1749-1814), seit 1771 als Musiker und wenig später als Hofkaplan am Mannheimer Hof tätig. Nach einer Interim-Italienreise (1773–1775) war Vogler ab 1776 Vizekapellmeister sowie zuständig für die gesamte Kirchenmusik. 1776 Gründung der Kurpfälzischen Tonschule »Mannheimer Tonschule«. (Siehe Vogler)

Quelle: Neue Deutsche Biographie.
KOMMA, Karl Michael, »Cannabich, Christian« in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 125-126; VIRNEISEL, Wilhelm, »Danzi, Franz« in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 515; HEUSSNER, Horst, »Filtz, Anton« in: Neue Deutsche Biographie 5 (1961), S. 148; HOFFMANN-ERBRECHT, Lothar, »Holzbauer, Ignaz Jakob« in: Neue Deutsche Biographie 9 (1972); HÖRNER, Stephan, »Stamitz, Johann« in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 44-45.; Ders., »Stamitz, Carl« in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 45-47; Ders., »Richter, Franz Xaver« in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 528-529.

Bosserts These zur Mannheimer Schule lautet:
Vogler war Organist, Komponist und Kapellmeister. Es ist jederzeit vorstellbar, dass Vogler als Organist Prinzipien weicher, leuchtender, gravitätischer oder brillanter Klangfarben an der Orgel ebenso erprobte, wie die Prinzipien des Übergangs von einer zur anderen Klangfarbe, um von dort zum bruchlosen Crescendo wie Decrescendo zu gelangen. Bossert folgert hieraus: die Erfahrungen eines dynamischen Klangdenkens, wie es insbesondere durch die Würzburger Orgelbauschule – Vogler stammt aus Würzburg – ausgeprägt ist, führt anhand der Orgel zu Erfahrungen, die anschließend für das Orchester wichtig wurden.

Diese These Bosserts steht im genauen Gegensatz zur Position der Orgelbewegung des 20. Jh., die erklärte, dass der sinfonische Orchesterklang durch die Orgel in dekadenter Weise nachgeahmt wurde, denn das Orchestrale sei der Orgel wesensfremd.

Bossert hingegen argumentiert, dass die Entwicklung der Orgel zum Orchestralen hin anhand des süddeutschmitteldeutschen Grundlabialstils seit dem letzten Drittel des 17. Jh. bereits vorgezeichnet war.

1 Brief vom 19. 7. 1763 aus Schwetzingen, in: Mozart. Briefe und Aufzeichnungen. Gesamtausgabe, hrsg. von der Internat. Stiftung Mozarteum Salzburg, ges. u. erl. von Wilhelm A. Bauer u. Otto Erich Deutsch, 1. u. 2. Bd., Kassel u. a. 1962, Bd. 1, Brief Nr. 56, S. 79.

AD/CB