Diruta, Girolamo

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DIRUTA, Il Transilvano. Dialogo sopra il vero modo di sonar organi ed istromenti da penna del R. P. Girolamo Diruta Perugino [...], Venedig 1593 (Teil I) und 1609 (Teil II). In Prima Parte, S. 10–12 vermittelt der Autor seinen Schülern den Umgang mit den Tasten durch Arm, Hand und Finger: berühren, fühlen, Tasten drücken (buono / gut) und Tasten anschlagen (cattivo / schlecht). Digitalisat: IMSLP. Permalink [18.06.2022].

Über Dirutas Lebensumstände sind nur spärlich Informationen bekannt. Man nimmt an, dass er eigentlich Girolamo Mancini heißt, dessen Familie wohl ursprünglich aus dem Castell Diruta bei Perugia stammt. Sein Geburtsjahr bleibt bis heute ungeklärt. Die ersten biografischen Anhaltpunkte über ihn werden auf den 19. Juni 1574 datiert, seinem Eintritt in das Kloster und den Orden der Fratri Minori Conventuali in der Stadt Correggio, unweit von Reggio nell’Emilia. Er war Organist, Musiktheoretiker und Komponist und wurde durch sein zweibändiges Tractat: Il Transilvano. [...] bekannt. Über Dirutas Studien in Venedig (bei Claudio Merulo) weiß man von ihm selbst, da er dieses an verschiedenen Stellen in seinem Tractat (Prima Pars, S. 62–63 et passim) beschreibt. Der weitere Werdegang wird bei Carl Krebs in Girolamo Diruta’s Transsilvano. Ein Beitrag zur Geschichte des Orgel- und Klavierspiels im 16. Jahrhundert eingehend beschrieben (vgl. auch MGG2 Online). Krebs erstellte ebenso eine Übersetzung mit italienischen Originalangaben.

Carl KREBS: Girolamo Diruta’s Transsilvano. Ein Beitrag zur Geschichte des Orgel- und Klavierspiels im 16. Jahrhundert. In: Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft, Jg. 8 (1892), hrsg. von Friedrich Chrysander, Philipp Spitta und Giudo Adler, Leipzig 1892, S. 307-388. URL [27.06.2022].

Lisa NAVACH: Art. Diruta, Girolamo, BIOGRAPHIE. In: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, Kassel, Stuttgart, New York 2016ff., zuerst veröffentlicht 2001, online veröffentlicht 2016. URL [27.06.2022].

István BÁTORI: Publikationsreihe im Rahmen des MMA-Stipendienprogramms (Magyar Müvészeti Akadémia): Az Il Transilvano, Dialogo jelentösége más korabeli didaktikai tanulmányok fényében; kortársak hivatkozásai Dirutával és müvével kapcsolatban, sowie Összefoglaló a Seconda Parte del Transilvano (1609) harmadik fejezeétnek tartalmához und weiteren. In: Az Erdélyi (2022). Vgl. URL [04.03.2023]

Die relevanten Passagen befinden sich bei Krebs auf den Seiten 322—327 unter Hinzufügung der Originalseiten S. 10–12:

S. 10:

Vorschrift um die Orgel regelrecht mit Würde und Anmuth zu spielen. (Regola per sonar organi regolatamente con gravità, et leggiadria)

Dir.: Die Vorschrift, die ich Euch geben will, um regel[ge]recht Orgel zu spielen, wird Euch zuerst etwas dunkel und schwierig vorkommen; wenn ich sie aber an klaren Beispielen erläutert habe, werdet Ihr sie ganz leicht und faßlich finden. Diese Vorschrift stützt sich auf gewisse Grundregeln (la Regola E fondata sopra alcuni documenti). Erstens soll der Organist seinen Sitz so wählen, daß der Körper sich vor der Mitte der Tastatur befindet. Zweitens soll er keine Bewegungen mit dem Körper machen, sondern diesen und den Kopf gerade und anmuthig halten. Drittens soll er darauf achten, daß der Arm die Hand leitet, daß die Hand immer grade zum Arm steht, und nicht höher oder tiefer als dieser gehalten wird! (was der Fall ist, wenn das Handgelenk sich etwas hoch stellt), weil dann die Hand sich mit dem Arm ausgleicht. Und was von der einen Hand gesagt ist, gilt auch von der anderen. Viertens sollen die Finger ganz gleichmäßig über den Tasten stehen, aber ein wenig gekrümmt: außerdem muß die Hand über der Tastatur locker und weich gehalten werden, denn ohne das können die Finger sich nicht mit Präzision und Schnelligkeit bewegen. Schließlich sollen die Finger die Taste andrücken und nicht anschlagen, und sollen sich gut ablösen. Wenn diese Vorschriften auch geringwerthig und von keiner Bedeutung scheinen, so muß man sie doch hoch anschlagen wegen des Nutzens, den sie bringen: denn sie bewirken, daß der Klang weich und angenehm ist, und daß der Organist sich beim Spielen nicht anstrengt.

S. 11:

Tr.: Es scheint freilich zuerst, daß diese Regeln unnütz sind, ich aber halte sie nicht nur für sehr nützlich, sondern für durchaus nothwendig. Doch möchte ich gern wissen, was die gerade oder schiefe Haltung des Kopfes und die gleichmäßige und gekrümmte Fingerstellung mit dem Klang zu schaffen hat.

Dir.: Mit dem Klang nichts; aber daran erkennt man die Würde und die Anmuth eines Organisten, und Claudio Merulo von Correggio ist nur deßhalb so anmuthsvoll und einnehmend, weil er die vorher gegebenen Regeln beobachtet. Hingegen gleicht Jemand, der sich windet und krümmt, eher einem lächerlichen Komödianten: und noch ein anderer Mißstand ergiebt sich daraus, nämlich, daß die von einem solchen Menschen ausgeführten Musikstücke nicht so gelingen, wie sie wohl sollten, und den Reiz einbüßen, den der Komponist in sie gelegt hat. Denn Jeder spielt, wie es ihm gerade in den Sinn kommt, und verhunzt sozusagen die Kunst. Auch hat die Schwierigkeit häufig nur ihren Grund in der falschen Ausführung, denn es ist mir oft genug vorgekommen, daß ich Sachen, welche solche Spieler für schwer erklärten, ganz leicht fand. Nachdem ich ihnen dann diese Vorschrift und diese Regeln auseinandergesetzt hatte, merkten sie selbst, daß die Schwierigkeit nicht im Stück lag, sondern nur in ihrer Unkenntniß der richtigen Ausführungsart.

[…]

Tr.: [...] aber kommen wir jetzt wieder zu den Bemerkungen, die Ihr vorher gemacht habt. Es ist also ein häßlicher Anblick, wenn Jemand ohne Würde spielt, wie Ihr sagt, und tausend Bewegungen mit dem Körper macht. Lassen wir das nun, und besprechen wir die anderen Vorschriften. Was macht es aus, daß der Arm die Hand leiten und daß diese immer gerade gehalten werden soll, und all das Andere, was Ihr mir auseinandergesetzt habt?

Wie der Arm die Hand leiten soll (Come il bracchio deue guidar la mano.)

Dir.: Das ist vielleicht – oder vielmehr sicher – das Allerwichtigste. Wer jemals auf solche Spieler Achtung gegeben hat, die ihre Hand schlecht gewöhnt haben, dem wird es aufgefallen sein, daß sie beinahe verkrüppelt scheinen, denn man sieht von ihnen immer blos die Finger, mit denen sie gerade spielen, während sie die anderen verstecken, auch halten sie den Arm so tief, daß er unter der Tastatur steht, und die Hände gleichfalls, so daß sie an den Tasten hängen, und Alles das kommt nur daher, daß die Hand nicht richtig vom Arm geleitet wird. Darum ist es auch nicht zu verwundern, daß sie nichts Gutes zustande bringen, ganz abgesehen von der Anstrengung, die sie beim Spielen erdulden. Wenn ich Euch eine Hand aufmalen könnte, welche diese Haltung hat, so würdet Ihr leicht begreifen, wie sie vom Arm geleitet werden muß, und auch, wie sie gewölbt zu halten und wie die Finger zu krümmen sind.

[…]

Die Art die Hand weich und locker zu halten. (Modo di portar la mano molle, e leggiera).

Um auseinanderzusetzen, wie die Hand locker und weich über der Tastatur zu halten ist, will ich ein Beispiel anführen. Wenn man Jemand im Zorn eine Ohrfeige verabfolgt, so wendet man große Kraft an. Aber wenn man Einen liebkosen und streicheln will, so geschieht das ohne Kraftaufwand, sondern man hält die Hand locker, so wie man ein Kind streichelt.

[Tr.: Mit diesem Beispiel weiß ich genau, wie man zwei [zwei] Hände trägt. Aber sagen Sie mir den Effekt, der bewirkt, dass die Tasten gedrückt werden, und was bewirkt, dass sie angeschlagen werden. (Übs. AD.)]

Die Wirkung, welche das Andrücken und das Anschlagen der Tasten hervorbringt. (Effeto che fa il premere, e quello che fa il battere il tasto.)

Dir.: Beim Drücken klingt [die Harmonie] gleichmäßig andauernd, beim Schlagen hingegen zerrissen, wie man aus folgendem Beispiel klar sehen kann. Es klingt, als ob ein Sänger nach jeder Note, und besonders nach Minimen und Semiminimen, Athem holt. Seht das folgende aus Semiminimen bestehende Beispiel an; wenn es Jemand singt, wie ich gesagt habe, so wird er zwischen je zwei Noten eine Viertelpause machen, was man beim zweiten Beispiel klar sehen kann.

S.12:

Genau so geht es den unklugen Organisten, die durch Heben der Hände und Schlagen der Tasten die Hälfte der [Harmonie] weglassen; und in diesen Irrthum verfallen Viele, die sich für bedeutende Spieler halten. Wenn sie ein Vorspiel auf der Orgel machen wollen, heben sie die Hände von den Tasten, so daß die Orgel öfter eine Minima oder gar eine Semibrevis lang ohne Ton bleibt, und man glaubt, sie spielten einen Kielflügel und wollten gerade einen Saltarello anfangen.

Tr.: Ihr habt ganz recht, ich habe selbst oft genug die genannte schlechte Wirkung gespürt, aber ich dachte, es käme daher, daß der Balgentreter den Wind ausgehen ließ. Diese Bemerkungen müssen von allergrößtem Nutzen sein, und jetzt fange ich auch an, den Unterschied zu entdecken zwischen dem Orgelspiel und dem auf dem Clavicembalo und anderen bekielten Instrumenten, und was es heißt, Tänze oder Musik spielen.

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