Sechs Trios Opus 47

19.07.2023

Im Frühjahr 1900 folgen auf Regers Phantasie und Fuge über b-a-c-h Opus 46 sein Opus 47 mit sechs Trios für Orgel; und es folgen als sein Opus 48 sieben Lieder für mittlere Stimme und Klavier sowie als sein Opus 49 im Mai 1900 zwei Sonaten für Klarinette und Klavier.

Mit den sechs Orgeltrios eröffnet Reger innerhalb seines Orgelschaffens ein neues Genre, nämlich die Gattung der Sammlung oder des Zyklus. Hier reihen sich des Weiteren dann die Opera 52, 56, 59, 63, 65, 69, 80, 85, 129 und 145 ein; ein Sonderfall ist Regers op. 92, in der sieben Orgelstücke mit Bezug zur Tonart g-Moll zusammengefasst sind als »Zweite Suite«.

In den sechs Trios stellt man dreimal den Wechsel langsam – schnell fest. Die Tempoangaben lauten: Andante – Vivacissimo // Andantino – Vivacissimo // Andantino – Vivace.

Doch könnte man gemäß der von Reger sehr geschätzten A-B-A-Form auch eine Reihung zu je drei Stücken erkennen.

Die Titel lauten: Canon – Gigue – Canzonetta – Scherzo – Siciliano – Fuge.

Die Tonarten sind: E-Dur – d-Moll – a-Moll – A-Dur – e-Moll – c-Moll.

Dass Reger mit den Titeln Canon, Gigue, Canzonetta, Siciliano oder Fuge sowie anhand der Wahl der Trio-Gestalt auf barocke Muster zurückgreift, ist evident.

Dass auch in Opus 47 der b-a-c-h-Topos Gestalt gewinnt, zeigt der Beginn des Canon E-Dur anhand von gis′-fis′-a′-gis′ mit Imitation cis′′-h′-dis′′-cis′′ sowie e′-dis′-fis′-e′ mit Imitation a′-gis′-h′-a′ klar an. In Gigue d-Moll begegnet man dann in Takt 2 / 3 den Tönen f′-e′-g′-f′ sowie deren Imitation als c′′-h′-d′′-c′′

Ich möchte nun nochmals auf den Beginn des Canon E-Dur zurückkommen:

Ausgehend von Basston E schließen sich im Manual die Töne fis′, a′ und gis′ an. Was hier m. E. klar vorliegt, ist eine Wechselwirkung zwischen gis-fis′, a′ und gis′ mit Referenz des b-a-c-h-Topos und E- fis′, a′ und gis′ mit Referenz des Jupiter-Topos. Es ergibt sich daher aus Takt 1 / 2 des Stück 1 von Regers Opus 47 für mich die Fortsetzung des vorangehenden Opus 46 mit seinen beiden Haupt-Topoi b-a-c-h und b-c-es-d als Referenz für eine Welt eines Bach u n d eines Mozart.

Von hier aus erschließt sich nun m. E. der Beginn der Canzonata, denn die Solo-Stimme wird eröffnet anhand der Tonfolge e′′-d′′-h′-c′′. Damit wird die Metapher E-fis′-a′-gis′, wie sie zu Beginn des Canon E-Dur erklingt, umgekehrt in die Metapher e′′-d′′-h′-c′′.

Meine hermeneutische Deutung ist: Wenn die Tonfolge E-fis′-a′-gis′ einen Beginn als einen Licht-Topos formuliert und dazu die Tonfolge e′′-d′′-h′-c′′ am Beginn des dritten Stückes die Umkehrung darstellt, dann halte ich Kanon E-Dur für ein Morgenlied und die Canzonetta für ein Abendlied. Dazwischen steht die Gigue d-Moll als ein Vivacissimo-Stück – »So schnell ein rauschend Wasser schießt, so eilen unser’s Lebens Tage« wäre hier im Sinne einer Aria von Bach aus seiner Kantate »Ach wie flüchtig, ach wie nichtig« meine hermeneutische Metapher.

Anhand der pendelnden Bass-Oktaven E-e sowie dem Bezug der Tonarten E-Dur und e-Moll stehen die Stücke 1 und 5 als Canon E-Dur und Siciliano e-Moll innerhalb der sechs Trios in deutlichem Bezug. Die Melodielinie des Siciliano e-Moll zeigt zu Beginn die Folge h-a′-fis′-g′, womit auch ein Rückbezug zu Nr. 3 Canzonetta a-Moll ersichtlich ist. In Stück 3 lautete der Beginn der Solostimme e′′-d′′-h′-c′′.

Daher meine ich: Wenn Stück 3 anhand von e′′-d′′-h′-c′′ zum Abendlied wird, dann könnte Stück 5 anhand von h′-a′-fis′-g′ und anhand des Siciliano-Topos als eine Musik verstanden werden, die die Engel zur halben Nacht dem Kind in der Krippe als ein Wiegenlied darbringen. Umgeben ist dieses stille Wiegenlied vom Taumel der Welt.

Und so meine ich: Regers Opus 47 wird zum Ausgangspunkt dessen, was später in Werken von Opus 59 bis Opus 73 anhand des Pastorale-Topos angestoßen wird: Mit Jesu Geburt im Stall von Bethlehem tritt Gottes Licht ein in diese Welt und fortan darf das Volk, das im Finstern wandelt, nun ein großes Licht erschauen. Wie es im Leben des Christenmenschen darum geht, dieses Licht zu entdecken und ihm zu folgen, so meine ich, dass es nun mit Blick auf Reger darum geht, in seinen Kompositionen der Licht-Metapher auf die Spur zu kommen.

Ausblick: Mittels kompositorischer Setzungen schafft Reger Verknüpfungen. Solche Verknüpfungen ergeben sich innerhalb der sechs Trios Opus 47 zwischen den Stücken 1 und 5 anhand des Oktavpendels E-e, der Tonarten E-Dur – e-Moll sowie den Tempi Andante und Andantino. Die Stücke 2 und 4 sind durch die Bezeichnung ›Vivacissimo‹ und den Bezug d-Moll – A-Dur verknüpft. Demzufolge ist dann Stück 3 als Canzonetta a-Moll dazu die Mitte und Stück 6 stellt anhand der Tonart c-Moll, dem Typus der Fuge und anhand der Bezeichnung ›Vivace‹ eine eigene Kategorie dar. Diese Merkwürdigkeit lässt sich anhand von Regers Opus 59 bestätigen: Die Stücke 1 bis 5 stellen sich als eine Einheit dar anhand der Zuordnung von Stück 1 zu 5 als Praeludium und Toccata, von Stück 2 zu 4 als zwei langsame Sätze mit Bezug zum Intervall der Sext und Stück 3 als Mitte. Ähnliches gilt für die Stücke 8 bis 12 anhand der Zuordnung von Stück 8 zu 12 als Gloria und Te Deum, von Stück 9 zu 11 als zwei langsame Sätze mit Bezug zum Intervall der Sext und Stück 10 als Mitte. Die Stücke 6 und 7 bilden dann im Werkganzen eine innere Mitte, wiewohl sie im Affekt stark kontrastieren. Doch bei allem Kontrast zeigen sie zwei Gemeinsamkeiten: Das Accelerando und das Crescendo. Insofern könnte man sagen, dass Regers Opus 47 für sein späteres Opus 59 nicht nur hinsichtlich des Pastorale-Topos, sondern auch hinsichtlich einer Anordnung aus 5 + 1 Stücken einen Ausgangspunkt darstellten dürfte.

Op. 47 Sechs Trios, Franc Gorsic-Orgel, Ljubljana 1891