Ordentliches Fortgehen
Dieser Begriff bezeichnet bis mindestens zur Bach-Zeit eine wesentliche Anforderung an die Artikulation und dürfte bei Bach selbst in engem Zusammenhang damit stehen, was Bach in der Vorrede zu seinen zweistimmigen Inventionen bzw. dreistimmigen Sinfonien die ›cantable Art des Spielens‹ nennt: Unter dem Begriff ›ordentliches Fortgehen‹ versteht man die stetige minimale Trennung zwischen aufeinander folgenden Tönen. Wenn der Komponist dann im melodischen Geschehen Bögen setzt, so sollen die unter einem Bogen notierten Töne ausnahmsweise streng gebunden, also ohne jene minimale Lücke des ordentlichen Fortgehens gespielt werden.
Bei besonderen Figuren wie den ›Seufzer-Figuren‹ oder expressiven Intervallen rechnet das barocke Verständnis dann mit dem sog. ›Überlegato‹, bei dem für einen kurzen Moment die betreffenden zwei Töne gleichzeitig (!) erklingen, um so eine Schärfung hervorzubringen.
Für die Bemessung der minimalen Lücke des ordentlichen Fortgehens kann man die natürliche Lücke zum Vorbild nehmen, wie sie bei der Tonrepetition dadurch entsteht, dass das Tonventil zuerst geschlossen werden muss, bevor der Ton erneut durch Öffnen des Ventils erklingen kann.
Im Unterschied zum ›ordentlichen Fortgehen‹ postulierte man in der Zeit der Legato-Ästhetik bis in die 1970er Jahre häufig folgendes ›Artikulationsideal‹: »Repetitionen können nicht gebunden werden, also werden sie gestoßen artikuliert; alle nicht repetierten Töne werden streng gebunden, also ›Legato‹ wiedergegeben«.
Statt des historischen Begriffs ›Ordentliches Fortgehen‹ hat sich in der Praxis häufig das Wort ›Non-Legato‹ eingeführt. Doch der Terminus ›Non-Legato‹ führt leider oft zu dem Missverständnis, dass melodische Verläufe zu sehr abgesetzt wiedergegeben werden. Carl Philip Emanuel Bach charakterisiert diese Spielweise mit dem Bild, dass sich dann Tasten »wie feurige Kohlen« anfühlen, während andere Spieler »zu klebrig« spielen würden, sodass der Weg dazwischen angeraten ist (C. Ph. E. Bach: Der Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen).
Von Interpreten wie Hans-Ola Ericsson kenne ich den Begriff ›Offenes Legato‹, den ich in diesem Zusammenhang für hilfreich halte.